Wirtschafterarbeit mit Fremdbetrieb
Nicht selten ist Landwirtschaft Leidenschaft. Immer wieder gibt es Quereinsteiger, die sich eine solide Ausbildung wünschen, für die aber weder die Technikerschule noch das theoretische Hochschulstudium in Frage kommt. Auch für diese Menschen gibt es das passende Angebot!
Heike Altendorfer ist eine solche Quereinsteigerin. Ursprünglich hat sie eine Ausbildung zur technischen Systemplanerin gemacht. Schon in dieser Zeit hatte sie zusätzlich einen Nebenjob auf einem Milchviehbetrieb. Sie hatte große Freude an der abwechslungsreichen Arbeit mit Natur, Technik und Tieren. Die Leidenschaft für die Landwirtschaft wuchs und die junge Frau trat die Ausbildung zur Landwirtin an. Damit wollte sie sich nicht begnügen. Sie entschloss sich die Meisterin der Landwirtschaft zu absolvieren, auch um später bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Seit Oktober 2022 besucht sie die Landwirtschaftsschule in Passau.
Landwirtschaftsschule ohne eigenen Betrieb?
Die Entscheidung war gefällt, allerdings musste nun eine große Hürde genommen werden. Im dritten Semester müssen die Studierenden eine Facharbeit schreiben, in der sie einen Betrieb analysieren und optimieren. Für gewöhnlich arbeiten die Studierenden der Landwirtschaftsschule mit den Daten des eigenen Familienbetriebes. Heike Altendorfer jedoch musste einen Betriebsleiter finden, der ihr Einblick in seine produktionstechnischen und betriebswirtschaftlichen Kennzahlen gewährte.
Das war nicht ganz einfach, immerhin muss ein solcher Betriebsleiter auch empfindliche Kennzahlen vor einer Fremden offenlegen. Mit Unterstützung von Markus Vilser, Lehrer für Betriebswirtschaft an der Landwirtschaftsschule in Passau, erklärte sich Josef Ritzer bereit. Der suchte zusätzlich eine Kraft für das das Herdenmanagement auf seinem Milchviehbetrieb. So ergab es sich, dass Heike Altendorfer nicht nur die Grundlage für ihre Wirtschafterarbeit bekam, sondern obendrauf einen Nebenjob auf einem praktischen Betrieb.
Fremdbetrieb für die Wirtschafterarbeit
Josef Ritzer bewirtschaftet mit seiner Familie einen Milchviehbetrieb mit rund 60 Kühen und Ferienwohnungen in der Gemeinde Büchlberg im Landkreis Passau. Ritzer arbeitet zusätzlich als Geschäftsführer des landwirtschaftlichen Bezirksvereins Passau e.V. Die Bildung des landwirtschaftlichen Nachwuchses spielt für den Verein eine große Rolle. Weshalb Ritzer nach anfänglichem Zögern der Zusammenarbeit mit Heike Altendorfer und der Landwirtschaftsschule Passau zustimmte.
Keine Scheu vor dem Blick von außen
Seit April 2023 arbeiten Altendorfer und Ritzer zusammen. Mittlerweile sind beide ein eingespieltes Team. Gemeinsam haben sie ein Thema und erste Lösungsideen für die Wirtschafterarbeit ausgearbeitet. Ab Oktober 2023 wird Altendorfer dann in die Theorie einstiegen, Kennzahlen auswerten und Lösungsansätze formulieren und schließlich all das in der Arbeit zusammenfassen.
Ritzer betont: „Was ursprünglich Hemmschuh war, lässt mit jetzt auf gute und vor allem objektive Vorschläge hoffen.“ Der Betriebsleiter hatte zunächst ein mulmiges Gefühl dabei, seine Buchführung von einer Fremden durchleuchten zu lassen. Aber Heike Altendorfer kann ganz ohne Betriebsblindheit an die Kennzahlen herantreten. Für die Wirtschafterarbeit wird Altendorfer den aktuellen Ist-Zustand des Betriebes anhand von produktionstechnischen und betriebswirtschaftlichen Daten erfassen. Anschließend arbeitet sie im Rahmen der Arbeit Ziele und Maßnahmen zum Erreichen der Ziele aus.
Betriebliche Ziele
Die angehende Landwirtschaftsmeisterin will im Rahmen ihrer Arbeit auf die fehlende Auslastung des automatischen Melksystems (AMS) hinweisen. Um den Melkroboter auszulasten, soll die Herde vergrößert werden. Den benötigten Platz dazu bietet der aktuelle Jungviehbereich. Die Liegeboxen sind ausreichend groß für Kühe. Für das Jungvieh soll neu gebaut werden. Mit diesem Entwicklungsschritt sollen auch die Kriterien für die DLG-Tierwohl Label Stufe 4 erfüllt werden. Dazu erhalten die Tiere zusätzlich Zugang zu einer Jogging-Weide.
Beispiel AELF Passau
Markus Vilser vom AELF Passau geht davon aus, dass an der Schule in Passau jährlich von ca. 18-20 Studierenden 1-3 keinen eigenen Betrieb haben. Es wären sicher mehr, wenn den Absolventen der Berufsschule die Angst genommen wird. Grundsätzlich zahlt sich Weiterbildung immer aus, ob jemand nun in die praktische Landwirtschaft oder den vor- oder nachgelagerten Bereich einsteigen möchte. Das Beispiel oben zeigt, dass das Bildungssystem für jeden die passende Lösung bereithält. Niemand muss die Heimat verlassen, um Technikerschule oder gar eine Hochschule zu besuchen. Die Landwirtschaftsschulen bieten für viele heimatnah eine interessante Alternative zum Studium an einer anderen Einrichtung.
Betriebsdaten im Unterricht
Oft erklären sich bekannte Betriebsleiter, nicht selten auch die der Lehrbetriebe, bereit, den Studierenden ihre Zahlen zur Verfügung zu stellen. Sollte es diese Möglichkeit nicht geben, unterstützen die Mitarbeiter der Landwirtschaftsschule dabei, den passenden Betrieb zu finden. Im Unterricht werden alle betrieblichen Informationen sensibel behandelt. Die Studierenden entscheiden selbst, welche Daten sie in der Klasse zur Diskussion stellen wollen. Das gilt ganz besonders für Studierende mit Fremdbetrieb.
Bildung ist Trumpf
Vilser und Ritzer sind sich einig, dass die Entwicklung der Betriebe durch den objektiven Blick von außen profitiert. „Ein Kind will seine Eltern nicht vor anderen blöd dastehen lassen und stellt gewohnte Arbeitsabläufe vielleicht auch weniger in Frage als jemand betriebsfremdes“, gibt der Landwirt zu bedenken. Zusätzlich betont Ritzer, dass er im Rahmen seiner eigenen Ausbildung jedem Betriebsleiter dankbar war, der im Einblick gewährt hat. Nun will er selbst seinen Beitrag für die nächste Generation der bayerischen Landwirtschaft leisten.
Nicht nur in Passau werden Wirtschafterarbeiten mit Fremdbetrieben geschrieben. Andere Landwirtschaftsschulen in Bayern kennen das Thema ebenfalls. Es ist schön, dass junge Menschen ihre Zukunft in der Landwirtschaft sehen. Das gilt es zu unterstützen. Daher appellieren wir abschließend zum einen an die jungen Leute, den Schritt in die Landwirtschaftsschule zu wagen und zum anderen an die Betriebsleiter, die nächste Generation nach Kräften zu unterstützen!
Sonja Hartwig-Kuhn