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Wie kann Digitalisierung die Milchviehhalter in Zeiten des Klimawandels unterstützen?

Wie kann Digitalisierung die Milchviehhalter in Zeiten des Klimawandels unterstützen?

Steigende Umgebungstemperaturen in Folge des Klimawandels stellen in den nächsten Jahren sowohl die Tiere als auch die Menschen vor große Herausforderungen. Doch welche Herausforderungen ergeben sich hierbei? Mit dieser und noch weiteren Fragen zur Digitalisierung in der Milcherzeugung beschäftigt sich das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderte Experimentierfeld DigiMilch an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Grub. Gemeinsam mit den im Projekt beteiligten Landwirten werden verschiedene Aspekte der Digitalisierung in Milchviehställen unter die Lupe genommen. Besondere Bedeutung hat die Bewältigung der Hitzebelastung bei den Kühen.

Ein Themenbereich von DigiMilch: Mit Digitalisierung die Klimawirkungen auf Kühe reduzieren. Bild: DigiMilch, LfL

 

Herausforderung aus Sicht der Tiere (S. Sauter, Dr. I. Lorenzini, Dr. B. Haidn)

Milchkühe produzieren aufgrund hoher Stoffwechselleistungen viel Körperwärme – ca. 31 % der aufgenommenen Energie wird in Wärme umgesetzt. Mit steigender Milchleistung erhöht sich folglich die Körperwärmeproduktion. Die Wärmeabgabe erfolgt auf verschiedenen Wegen: durch Abstrahlung, Leitung und Strömung (sensible Wärmeabgabe) oder durch Feuchtigkeitsabgabe (latente Wärmeabgabe) über die Haut, das Schwitzen und die Atmung. Dadurch können Kühe ihre Körpertemperatur auf einem relativ stabilen Niveau um die 38,5 °C (+/- 0,5 °C) halten. Je höher die Umgebungstemperatur ist, desto mehr latente Wärmeabgabe ist erforderlich.

Bei ca. 20 °C sind beide Wege etwa gleichbedeutend. Überschreitet die Umgebungstemperatur allerdings die sogenannte „thermoneutrale Zone“, ist ihre Anpassungsfähigkeit gefordert. Die Kuh kann ihre Körperwärme bei zunehmender Temperatur oder Luftfeuchtigkeit nicht mehr nur durch physiologische Vorgänge, zum Beispiel der Erweiterung der Blutgefäße, regeln. Zur besseren Einschätzung von Hitzebelastung oder Hitzestress dient der Temperatur-Luftfeuchte-Index (THI). Der THI lässt sich über automatisiert erfasste Umweltparameter, wie der Stalltemperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit über die nachfolgend dargestellte Formel berechnen:

𝑇𝐻𝐼 = (0,8 𝑇) + [(𝑅𝐻 / 100) (𝑇 – 14,4)] + 46,6

mit T = Lufttemperatur [°C] Stall bzw. Außen und RH = relative Luftfeuchtigkeit [%] Stall bzw. Außen

Abbildung 1: THI-Temperatur-Feuchtigkeits-Index „neu“, berechnet nach Thom (1959), modifiziert nach Burgos-Zimbelman (2008), Grafik LfL, ILT (2016).

Die Grafik stellt dar, bei welcher Temperatur und Luftfeuchtigkeit kein, milder, mäßiger bzw. starker Hitzestress beim Milchvieh zu erwarten ist. Eine milde Hitzebelastung ist bereits ab einem Bereich von 69-71 definiert. Je höher dabei die relative Luftfeuchte ist, desto niedriger ist die obere Temperatur. Diese Grenzwerte werden für den Stall bzw. die ganze Herde ausgegeben und berücksichtigen keine individuellen Unterschiede zwischen den Tieren.

Die Beanspruchung durch Hitze hängt sowohl von Klimaparametern, die für die Berechnung des THI berücksichtigt werden (Lufttemperatur, rel. Luftfeuchtigkeit) als auch von weiteren Klimaparametern wie Wärmeeinstrahlung, Windgeschwindigkeit sowie tierindividuellen Faktoren wie Milchleistung, Laktationstag oder Rasse ab.

Einfluss der Temperatur auf das Verhalten der Tiere

Bei einer Erhöhung des THIs ändert sich das Verhalten der Tiere. Verschiedene Verhaltensparameter können über Sensorsysteme tierindividuell erfasst werden. Der Markt bietet Sensoren, die am Ohr, am Hals oder auch am Bein angebracht werden sowie Pansenboli, die in den Netzmagen eingegeben werden.

Tiere zeigen Hitzebelastung durch verminderte Liegezeiten und erhöhte Aktivität aufgrund der Suche nach „angenehmeren“ Plätzen. Die Futteraufnahme geht zurück, obwohl die Tiere insbesondere bei ausgeprägter Hitzebelastung sogar mehr Energie bräuchten, um zum Beispiel durch schnelleres Atmen Wärme über die Atemluft abzugeben. Die Atemfrequenz steigt an, um eine Verdunstungskühlung über die Atemluft zu erreichen und die Körperoberflächentemperatur steigt durch eine erhöhte Hautdurchblutung. Die innere Körpertemperatur und die Herzfrequenz nehmen auch zu.

Einfluss der Temperatur auf die Fruchtbarkeit

Studien zeigen, dass durch Hitzebelastung zum einen Ovulationsverzögerungen und zum anderen auch langfristige Schäden vor allem im letzten Trächtigkeitsdrittel beim Kalb entstehen können. Durch Hitzebelastung beeinträchtigte Kühe gebären durchschnittlich kleinere Kälber. Es wird angenommen, dass durch die im Mutterleib entstandene Entwicklungsverzögerung sogar lebenslange Nachteile bei den Nachkommen auftreten – zum Beispiel verminderte Milchleistung und Fruchtbarkeit. Andere Studien zeigen, dass nach einer Hitzeperiode die Milchleistung um zwei Tage verzögert sinkt und oftmals das Ausgangsniveau nicht mehr erreicht wird.

Gesundheitsmonitoring

Im Rahmen des Demonstrationsprojekts „Tierindividuelle Sensorsysteme“ des Experimentierfeldes „DigiMilch“ erfassen wir Leistungs- und Verhaltensdaten, die durch Sensorsysteme, wie dem automatischen Melksystem, Wiegetrögen, Pedometern am Bein und Pansenboli aufgenommen werden. Diese Daten werden mit der Atemfrequenz, verschiedenen Blutparametern (BHB, Hämatokrit, Gesamteiweiß, freie Fettsäuren, GGT (Gamma-Glutamyl-Transferase), GLDH (Glutamat-Dehydrogenase)) und den Klimaparametern wie dem THI kombiniert. In der DigiMilch-Datenbank werden alle relevanten Kenngrößen gesammelt, die sich individuell während einer Hitzebelastung ändern könnten. Das Ziel dieser Erhebungen ist es, Landwirten mehr Informationen über den unterschiedlichen Effekt von Hitzebelastung auf einzelne Tiere an die Hand zu geben. Somit könnten sie gezielter Managemententscheidungen für den Stall treffen. Anschließend sollen, aus den auch in Praxisbetrieben verfügbaren Aktivitäts- und Leistungsdaten, mit Hilfe der Referenzsysteme (Atemfrequenzmessung, Blutparameterbestimmung) Modelle entwickelt werden, die die Hitzebelastung bzw. -stress tierindividuell schätzen können.

Herausforderung aus Sicht der Stalltechnik (Dr. J. Poteko, Dr. J. Harms)

In den Milchviehställen werden zahlreiche Geräte in verschiedenen Arbeitsbereichen eingebaut. Durch die Automatisierung soll die Stalltechnik dem Landwirt die Arbeit im Stall erleichtern oder ganz abnehmen. Im Zuge der Digitalisierung wurden einzelne Geräte weiterentwickelt, darunter auch solche im Bereich des Stallklimas. Diese digitalisierten Geräte erfassen eine Vielzahl an Daten, darunter den Status der Geräte und Informationen zu den Stallklimaparametern. Diese Daten werden an das jeweilige Gerät oder das Herdenmanagementprogramm übermittelt. Dort stehen sie dem Landwirt zur Verfügung und liefern wertvolle Informationen zu den aktuellen Bedingungen im Stall oder dienen als Entscheidungsgrundlage.

Arbeitserleichterung und Energieeinsparung

Einzelne Geräte im Bereich des Stallklimas, wie Ventilatoren, Vorhänge und Kuhduschen, passen ihre Funktion zunehmend automatisch den aktuellen Bedingungen im Stall an, basierend beispielsweise auf dem THI. Diese Automatisierung bietet nicht nur eine Arbeitserleichterung, sondern kann auch Arbeitszeiten und -intensität im Sinne des Energieverbrauchs optimieren.

Eine neue Herausforderung besteht darin, mehrere einzelne Geräte im Stall autonom anzusteuern. Diese Geräte sollten nicht eigenständig agieren, sondern ihre Einstellungen unter Berücksichtigung anderer Geräte im Stall verändern. Eine Kuhdusche wird ihre Wirkung nicht erzielen, wenn gleichzeitig die Ventilatoren eingeschaltet sind. Wenn die Vorhänge die sonnige Seite des Stalles beschatten sollen, wird eine eingeschaltete Kuhdusche im Stall lediglich die Luftfeuchtigkeit erhöhen.

Vernetzte Stalltechnik

In einem solchen System ist eine direkte Abstimmung den Arbeitsabläufe zwischen den Geräten notwendig. Zum Beispiel können die Curtains je nach Sonneneinstrahlung und Oberflächentemperaturen am Vormittag den Tierbereich beschatten, während die Kuhdusche gezielt gesteuert wird, um den THI trotz niedriger Luftfeuchtigkeit nicht ansteigen zu lassen. Zudem wird beispielsweise die Kuhdusche ausgeschaltet, wenn die Ventilatoren auf maximaler Leistung arbeiten.

Im Experimentierfeld DigiMilch wird im Demonstrationsprojekt “Vernetzte Stalltechnik” der Bedarf und der Nutzen der Landwirte hinsichtlich der Vernetzung von Geräten und das Potenzial zur Weiterentwicklung dieses automatischen Datenaustauschs zwischen den Geräten in Milchviehställen betrachtet. Ein praktisches Beispiel ist die Anwendung dieser automatisierten Technik im Milchviehstall der Landwirtschaftlichen Lehranstalten Triesdorf. An einem Sommertag sind die Curtains tagsüber vollständig geöffnet, während die Ventilatoren ihre Leistung entsprechend der aktuellen Lufttemperatur steuern. Zusätzlich wird auf dem unüberdachten Fressgang die Kuhdusche in regelmäßigen Intervallen automatisch aktiviert. In Zusammenarbeit mit dem Experimentierfeld Diabek der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf werden in diesem Stall die Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit gemessen und der THI berechnet (siehe Abbildung 2). Der THI bietet eine gute Annäherung an die Bedürfnisse der Kühe. Dadurch wird deutlich, dass der Stall als automatisiertes Gesamtsystem während eines Großteils dieses Sommertages die Lufttemperaturen im Stall unter den Außentemperaturen hält und die Hitzebelastung für die Kühe möglichst gering bleibt.

Verknüpfung von Informationen

Aussichtsreich im Bereich der Stalltechnik ist die Integration zusätzlicher Informationen, um die Möglichkeit einer autonomen Feinjustierung der Geräte zu ermöglichen. Die Curtains auf der sonnenzugewandten Seite könnten dementsprechend für bestimmte Zeitabschnitte geschlossen werden, um den Tierbereichs zu beschatten. Darüber hinaus könnte die Tierortung im Stall anzeigen, in welchen Bereichen die Ventilatoren oder die Kuhduschen aktiv sein sollten.

Abbildung 2: Anwendung der automatisierten Stallklima-Technik im Milchviehstall an einem Sommertag: die Curtains sind tagsüber vollständig geöffnet, die Ventilatoren passen ihre Leistung entsprechend der aktuellen Lufttemperatur an und die Kuhdusche wird in regelmäßigen Intervallen automatisch aktiviert. Eine autonome Feinabstimmung verbessert die Effizienz des Gesamtsystems, zum Beispiel durch die Beschattung des Tierbereichs mit Curtains je nach Sonneneinstrahlung am Vormittag oder die gezielte Steuerung der Kuhdusche, um den THI trotz niedriger Luftfeuchtigkeit nicht ansteigen zu lassen.

 

Herausforderungen aus Sicht der Fütterung (S. Beckmann)

Ein weiteres Kriterium für die Erkennung der Hitzebelastung kommt aus dem Bereich der Fütterung. Bei Hitzebelastung sinkt die Futteraufnahme der Tiere schnell und deutlich. Das lässt sich aber nur feststellen, wenn man die verfütterten Mengen auch kennt. In den Ergebnissen des Demonstrationsprojekts „Fütterungsmanagement“ des Experimentierfeldes „DigiMilch“ werden diese Effekte sichtbar. Durch die Verwendung einer programmierbaren Waage am Futtermischwagen wurden die real geladenen Futtermengen aufgezeichnet. Hierdurch ließ sich die durchschnittliche Trockenmasse (TM) der Ration und die Futteraufnahme der Herde berechnen. So kann mit am Hof befindlicher Technik das Tierwohl und der Tierkomfort gesteigert werden.

Über die Aufzeichnungen einer programmierbaren Waage lässt sich unter anderem die Futteraufnahme berechnen. Bild: LfL DigiMilch

Aus Tabelle 1 geht hervor, wie schwankend die Futteraufnahmen sind; in KW 28, 30 und 36 herrschten Außentemperaturen von weit über 25 °C. Hier ging die TM-Aufnahme deutlich zurück und zeigte außerdem größere Schwankungen.

 

Tabelle 1: Durchschnittliche TM-Aufnahmen der Herde auf Betrieb B (Demonstrationsprojekt Fütterungsmanagement).

Angestrebt wird eine TM-Aufnahme von 3% der Lebendmasse (LM). Eine Kuh mit 750 kg LM sollte22,5 kg TM aufnehmen. Von diesen 22,5 kg TM sollten zwei Drittel aus dem Grobfutter stammen, also etwa 15 kg.

Beim Rückgang der TM-Aufnahme wird oft versucht, die fehlende Energie mit Kraftfutter zu kompensieren. Da der Gehalt an aNDFOM (neutrale Detergentien-Faser, aschefreier Rückstand nach der Behandlung mit neutralen Lösungsmitteln (Detergentien) und Amylase) ebenfalls zurückgeht und der Gehalt an pansenabbaubaren Kohlenhydraten (pabKH) steigt, kann als Folge eine Pansenazidose entstehen oder verstärkt werden. Die Herde hat dann folglich von zwei Seiten mit einer Belastung zu kämpfen. Mit einer programmierbaren Waage am Futtermischwagen lässt sich die TM-Aufnahme deutlich leichter berechnen, da die verfütterten Mengen bei der Beladung gespeichert werden. Deswegen lohnt sich die Investition in eine solche Waage immer!

Wer die durchschnittliche TM-Aufnahme seiner Herde kennt und stets im Auge hat, kann bei aufkommender Hitzebelastung früher reagieren. Wir raten auch jedem Betrieb, die Anzahl der Tränkestellen zu überprüfen. Eine Tränkestelle (plus eine weitere als Reserve) soll pro 20 Tiere zur Verfügung stehen. Wasser ist das billigste und qualitativ konstanteste Futtermittel. Bei hohen Milchleistungen steigt die Aufnahme an warmen Tagen bis zu 250 Liter pro Tier und Tag. Eine unzureichende Verfügbarkeit von Tränkestellen kann ebenfalls zu Hitzebelastung führen.

Experimentierfeld DigiMilch

In dem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderten Experimentierfeld DigiMilch wird am Institut für Landtechnik und Tierhaltung der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Grub die Digitalisierung in der Milcherzeugung bearbeitet. DigiMilch beschäftigt sich mit allen Bereichen der Prozesskette der Milcherzeugung. Im Detail sind das Wirtschaftsdüngermanagement, sensorgestützte Ertragsermittlung, Fütterungsmanagement, vernetzte Stalltechnik und vernetzte, tierindividuelle Sensoren.

Förderhinweis

Die Förderung des Vorhabens erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des deutschen Bundestages. Die Projektträgerschaft erfolgt über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des Programms Experimentierfelder in der Landwirtschaft.

QR-Link zum Experimentierfeld DigiMilch:

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