Versorgungsempfehlung Milchkühe: „Weiter wie bisher“ ist nicht sinnvoll
Unsere Milchkühe, aber auch die Produktionsbedingungen in der Milcherzeugung haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Auch in der Forschung wurden durch Innovationen und Untersuchungsergebnisse neue Erkenntnisse erlangt. Das legt nahe, dass ein „Weiter wie bisher“ auch im Hinblick auf die Versorgungsempfehlungen von Milchkühen wenig sinnvoll ist.

Neues Wissen, neue Empfehlungen
Auf Basis des neuen Wissens hat die Gesellschaft für Ernährungsphysiologie (GfE) im September 2023 neue Versorgungsempfehlungen für Milchkühe herausgegeben. Das Verfahren berücksichtigt die Veränderungen der Futterumsetzungen im Pansen bei steigender Futteraufnahmen und ist daher dynamisch und damit zwar auch aufwändiger, aber vor allem anpassungsfähiger an das individuelle Leistungsniveau und die eingesetzten Futtermittel eines Betriebs. Die Empfehlungen leiten sich von den Produktionsbedingungen in Mitteleuropa ab, dazu gehören beispielsweise Futterbasis, Leistungsniveau und Betriebsorganisation. Es wird konsequent zwischen Futterbewertung und Bedarf unterschieden, so dass beide Größen klarer und richtiger gefasst sind. Der Bedarf der Tiere wird stärker und realistischer berücksichtigt. Dem Konflikt zwischen Leistung und wiederkäuergerechter Fütterung wird vorgebeugt. Nicht zuletzt werden auch Aspekte der Umweltwirkung in die Empfehlungen einbezogen.
Energie- und Proteinversorgung revolutioniert
Die größten Veränderungen gibt es im Bereich Energie- und Rohproteinversorgung. Hier wurden sowohl die Bedarfsfaktoren als auch die Systeme zur Bewertung von Futtermitteln überarbeitet. Die ohnehin aus der umsetzbaren Energie (ME) berechnete Nettoenergie für Laktation (NEL) wird durch die ME abgelöst. Die wiederum wird, anders als bisher, in einem dreistufigen Verfahren ermittelt. Von der verdaulichen Energie werden die jeweiligen Verluste über Harn und Methan abgezogen, um zur ME zu gelangen. Die wichtigste Größe ist die Verdaulichkeit der organischen Masse. Das Vorgehen führt nicht zwangsläufig zu anderen ME-Werten, die Relationen zwischen einzelnen Futtermitteln verschieben sich jedoch. Insbesondere gute Gras- und Maissilagen werden höher und damit richtiger bewertet. Das ist relevant für die Rationsgestaltung.
Berücksichtigung einzelner Aminosäuren
Die Proteinversorgung der Kuh ist abhängig von der Menge absorbierter Aminosäuren am Dünndarmende. Statt des nutzbaren Proteins (nXP) soll daher künftig das dünndarmverdauliche Protein (sidP) als Summe der dünndarmverdaulichen Aminosäuren herangezogen werden. Die unterschiedliche Verdaulichkeit des nicht im Pansen abgebauten Rohproteins (UDP) von Soja- oder Rapsschrot wird damit beispielsweise erstmalig berücksichtigt. Auch für die Berechnung einzelner dünndarmverdaulicher Aminosäuren wurden im neuen System Gleichungen hinterlegt. Darüber sollen Aussagen über limitierende Wirkungen einzelner essenzieller Aminosäuren abgeleitet und als Basis für die bedarfsgerechte Rationsgestaltung verwendet werden können.
Futteraufnahme und Verdaulichkeit

Das Futteraufnahmevermögen der Kuh gewinnt an Bedeutung. Bei steigender Futteraufnahme steigt auch die Passagerate, was zu einer niedrigeren Verweildauer und dadurch zu einer niedrigeren Verdaulichkeit der organischen Masse führt. Je höher die Verdaulichkeit eines Futtermittels, desto mehr Energie steht den Pansenmikroben für die Bildung von mikrobiellem Rohprotein zur Verfügung. Hier wiederrum ist die Strukturwirksamkeit der Faserfraktionen ADF und NDF wichtig für eine wiederkäuergerechte Ration. Die beiden Kennzahlen ersetzen künftig die Rohfaser. Eine zentrale Größe in der Rationsplanung ist somit die anzusetzende Futteraufnahmen. Hier haben sich die Schätzgleichungen der DLG bewährt. Neu ist, dass sich Fleckvieh und Holstein bei gleichen Leistungs- und Fütterungsbedingungen nicht mehr unterscheiden. Fleckvieh hat aufgeholt. Wird die Verdaulichkeit tier- und nicht nur futtermittelbezogen betrachtet, können insbesondere hochleistende Kühe besser ausgefüttert werden. Die Schätzung von Wasseraufnahme bzw. -versorgung soll künftig über die aufgenommene Trockenmasse erfolgen.
Für Klima und Ökonomie

Die neuen Erkenntnisse wirken sich positiv auf das Wohlergehen der Tiere und die Umweltwirkung aus. Die Wissenschaftler haben festgestellt, dass die Empfehlung für das Rohproteinangebot heruntergesetzt werden kann. Grund dafür ist, dass die Pansenmikroben 10 % des genutzten Stickstoffs rezyklieren und damit dem Stoffwechsel wieder zur Verfügung stellen. Diese Menge muss nicht gefüttert werden. Darüber hinaus haben Versuche gezeigt, dass die Nutzung des gefütterten Phosphors für die Milchbildung besser ist als bisher angenommen. Damit kann die optimale Phosphorkonzentration in der Ration herabgesetzt werden. Das hat nicht nur Auswirkung auf die Ausscheidung der Tiere, sondern auch auf den Bedarf von teurem Mineralfutter.
Einführung in die Praxis
Wissenschaftler haben das neue System entwickelt und auf die mitteleuropäischen Gegebenheiten ausgerichtet. Der nächste Schritt ist die Einführung in die praktische Anwendung. Die Änderungen werden in allen Bereichen von Berufsschule, über Praxis und Beratung bis hin zur Universität dazu führen, dass die Fütterung der Milchkuh neu gedacht wird. Die Futteruntersuchungen werden neu ausgerichtet und die Software zur Rationsplanung und Futteroptimierung angepasst. Auch die DLG-Tabellen, Beratungsunterlagen sowie Lehrbücher und Unterrichtsmaterial werden überarbeitet.
Auch für die LKV-Fütterungsberatung und die Analysen im LKV-Futterlabor in Grub bedeutet das eine Umstellung. In engem Schulterschluss bereiten sich die LKV-Fütterungsberater, das LKV-Futterlabor und die Experten der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft darauf vor. Übergeordnet begleitet der DLG-Arbeitskreis Futter und Fütterung die Einführung des neuen Systems. Der unabhängige Arbeitskreis besteht aus Experten der Bereiche Analytik, Beratung, Wirtschaft und Wissenschaft. Bereits die Ernte 2025 soll nach den neuen Vorgaben untersucht werden. Ab Oktober 2025 sollen die neuen Empfehlungen dann in der Praxis umgesetzt werden.
Sonja Hartwig-Kuhn

Prof. Dr. Hubert Spiekers, stellvertretender Leiter des Instituts für Tierernährung und Futterwirtschaft, LfL zur neuen Versorgungsempfehlung für Milchkühe:
Mit den neuen Normen und deren Umsetzung ist die deutsche Milchkuhfütterung sehr gut aufgestellt und international konkurrenzfähig. Die Empfehlungen sind von der Berufsschule bis zur Elite-Uni und von der klassischen Rationsgestaltung bis zum Spitzenbetrieb erfolgreich anwendbar. Natürlich sind die Vorgaben komplexer, da sie sich an dem tatsächlichen Geschehen im Pansen in Abhängigkeit vom Futteraufnahmeniveau orientieren. Moderne Rechenprogramme unterstützen bei der Anwendung. Bei der Erarbeitung der Normen und deren Umsetzung hat der Sektor selbst die Federführung und bestimmt Tempo und Inhalt. Wissenschaft, Beratung, Wirtschaft und Praxis organisieren den Fortschritt im Interesse unserer Kühe und Milcherzeuger.
Josef Jungwirth, Leiter der LKV Beratungsgesellschaft zur neuen Versorgungsempfehlung für Milchkühe:
Für die LKV Fütterungsberater ist das Tierwohl oberstes Ziel. Wir begrüßen daher, dass die neuen Versorgungsempfehlungen den Bedarf unserer modernen Kühe und die Gegebenheiten unserer modernen Produktionsbedingungen besser abbilden. Wir sind uns bewusst, dass das gerade im Übergang auf das neue System auch einen immensen Aufwand speziell für die Kolleginnen und Kollegen im Außendienst bedeutet. Dazu stehen wir in engem Schulterschluss mit den LfL-Fütterungsexperten. Der Prozess wird eng begleitet und reicht von Anpassungen im Bereich der Analysen im LKV-Futterlabor in Grub bis hin zur praktischen Beratungsempfehlung.
