Kuhgebundene Kälberaufzucht im Projekt mehrWERT Öko-Milch + Fleisch
Das Projekt „mehrWERT Öko-Milch + Fleisch“ beschäftigt sich mit den Kälbern der ökologischen Milchviehhaltung in Bayern. Während sich die ökologisch erzeugte Milch stetig besser vermarkten lässt, zeigt sich bei den Kälbern ein anderes Bild. Doch ohne Kalb gibt’s keine Milch.

Die EU Öko-Verordnung 2018/848 gibt eine 90-tägige Bio-Vollmilchtränke für Biokälber vor, das bedeutet eine Reduktion der vermarktbaren Bio-Milch. Die Nachfrage nach Bio-Rindfleisch ist verhalten, wird jedoch sowohl über die Milcherzeugung als auch die Mutterkuhhaltung bedient. Viele Biobauern vermarkten ihre Biokälber so früh wie möglich in die konventionelle Fresseraufzucht.
Wie steht es um die Bio-Kälber in Bayern
Im Vergleich zu den meisten deutschen Berufskollegen halten Bayerns Milcherzeuger vorrangig Fleckvieh. Die Kälberpreise (konventionelle Vermarktung) sowie die Mastleistung der Doppelnutzungsrasse sind im Vergleich zu Holstein-Rindern relativ hoch. Bis zum Projektstart 2021 lagen keine belastbaren Daten zum Status quo der ökologisch gehaltenen Kälber in Bayern vor.
Wertschöpfung und Wertschätzung
Im Rahmen des Forschungsvorhabens „mehrWERT Öko-Milch + Fleisch“ wurden Strategien untersucht, entwickelt und verbreitet, um die Wertschöpfung, aber auch die Wertschätzung der Kälber aus der bayerischen Öko-Milchviehhaltung zu verbessern. Die kuhgebundene Kälberaufzucht als eine sehr wesensgerechte Form der Kälberaufzucht kann eine Strategie sein – auch, um den Verbrauchern einen notwendigen Mehrpreis kommunizieren zu können. Sie bietet jedoch kein Patentrezept für jeden Betrieb.
Kuhgebundene Kälberaufzucht in der Wissenschaft
Bei der kuhgebundenen Kälberaufzucht werden Kälber an ihren Müttern oder Ammen aufgezogen. Dadurch können die Tiere ihr natürliches Säuge- und Sozialverhalten ausleben. Sie verbleiben meist länger im Geburtsbetrieb. Dies kommt den Vorstellungen und Wünschen vieler Verbraucher, aber auch einiger Landwirte näher als die Praxis der frühzeitigen Trennung und Einzelaufstallung. Aktuell ist das Verfahren wenig verbreitet. In Forschung und Praxis findet es seit rund 15 Jahren verstärktes Interesse, vor allem in nordischen Ländern.
Wissenschaftler der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HWST) haben mit Partnern zur kuhgebundenen Kälberaufzucht geforscht. Im Zeitraum von November 2021 bis Mai 2022 wurden auf 19 bayerischen Öko-Milchviehbetrieben verschiedene Verfahren der kuhgebundenen Kälberaufzucht beobachtet. Die Betriebe mussten ihre Kälber seit mindestens zwei Jahren kuhgebunden aufziehen und an der Milchleistungsprüfung (MLP) des LKV Bayern teilnehmen.
Breite Palette an unterschiedlichen Systemen
Die Betriebsleiter setzen die kuhgebundene Kälberaufzucht unterschiedlich um. Im Wesentlichen gibt es drei Verfahren: (1) die Aufzucht durch die eigene Mutter, (2) die Aufzucht durch Ammenkühe oder (3) Mischformen. Neben dem Kontakttier unterscheiden sich Kontaktdauer und Kontaktort. Auf sechs der untersuchten Betriebe waren Kühe und Kälber dauerhaft zusammen, zumeist in festen Ammen-Kälber-Gruppen ohne zusätzliche Melkung. Drei Betriebe organisierten einen Halbtageskontakt mit einer Melkung pro Tag und einer anschließenden zwölfstündigen Kuh-Kalb-Kontaktzeit. Sechs Betriebe praktizierten ein System mit Kurzzeitkontakt rund um die Melkzeiten.
Ammenkühe werden häufig aufgrund ihrer Mütterlichkeit oder schlechter Melkeigenschaften ausgewählt. Vereinzelt berichten Landwirte, dass sie gerne ältere Kühe als Ammen verwenden, um ihnen eine „ruhigen Rente“ zu ermöglichen.
Motivation: Tierwohl und Kälbergesundheit
Die teilnehmenden Betriebsleiter nannten das Tierwohl als häufigsten Beweggrund. Die Landwirte wollen ihren Tieren ein natürliches Säuge- und Sozialverhalten ermöglichen. Darauf folgte eine verbesserte Kälbergesundheit. Auf den Projekt-Betrieben wurden überwiegend vitale und frohwüchsige Kälber beobachtet. Teilweise zeigten die Kälber trockene Kotverschmutzungen, die meistens ohne tierärztliche Behandlung abgeklungen sind und wahrscheinlich durch einen punktuell sehr hohen Milchkonsum verursacht wurden.

Hürden bei der Umstellung
Im Durchschnitt haben die Betriebe innerhalb von dreieinhalb Jahren auf eine kuhgebundene Aufzucht umgestellt. Die Einführung war immer eine erhebliche Umstellung. Ein Landwirt gab an: „Ich musste mich gedanklich komplett umsortieren“. Das Absetzen der Kälber war für die Tierhalter die größte Herausforderung, gefolgt von ungeeigneten baulichen Gegebenheiten und dem Platzbedarf sowie der Tierbeobachtung inklusive Gesundheitskontrolle.
Vermarktung
Betriebswirtschaftlich war die Reduktion der verkaufsfähigen Milch ein maßgeblicher Nachteil des Verfahrens, der durch die Vermarktung der Fresser oder des Kalbfleischs bisher kaum ausgeglichen werden konnte. Auch die Milch kann derzeit nur seltenen mit dem Label „Aus kuhgebundener Kälberaufzucht“ vermarktet werden. Eine Zertifizierung dieses Zusatznutzens ist für die Bio-Milchviehbetriebe der Anbauverbände seit 2023 aufgrund von Bemühungen der Interessengemeinschaft kuhgebundene Kälberaufzucht möglich (www.ig-kalbundkuh.de).

Herausforderungen bei der MLP
Die Statistiker des LKV Bayerns prüfen, inwieweit die Laktationskurve für Kühe rückgerechnet werden können, die aufgrund des Aufzuchtverfahrens nicht am Probemelken teilnahmen oder eine geringere Milchmenge erzielten. Bisher ist die MLP nicht auf die kuhgebundene Kälberaufzucht ausgelegt. Wird die Nutzungsart einer Kuh von „Milchkuh“ auf „Mutterkuh“ geändert, tritt sie üblicherweise aus der MLP aus. Sie kann weiterhin an der MLP teilnehmen, allerdings kann sie laut der internationalen ICAR-Richtlinien zur MLP nur einmalig ein Probemelkergebnis aussetzen. Nimmt eine Kuh zwei Mal in einer Laktation nicht an der MLP teil, dürfen nach den Richtlinien keine Laktationsleistungen ausgewiesen werden. Durch die großen Unterschiede in der Umsetzung wird die Gestaltung eines passenden MLP-Angebots zusätzlich erschwert.

Ausblick
Die kuhgebundene Kälberaufzucht ist aktuell wenig verbreitet. Die Verfahren variieren von Betrieb zu Betrieb sehr stark. Auch wenn Landwirte aufgrund ihrer Überzeugung einsteigen, sind sie auf passende Vermarktungswege angewiesen. Es besteht weiterer Forschungsbedarf u. a. in Bereichen der Kälbergesundheit, der Arbeitswirtschaft und der Milchleistungsprüfung.
Einige Aspekte werden im Projekt KuKIndiTM (https://www.mls.ls.tum.de/anm/arbeitsgruppe-tierernaehrung-und-metabolismus/forschung/kukinditm/) unter Leitung der TU München und in Zusammenarbeit mit dem LKV Bayern weiter untersucht. Das mehrWERT Öko-Milch + Fleisch Projekt (https://www.hswt.de/forschung/projekt/1603-mehrwert-oko-milch-fleisch) wurde vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus gefördert.
Theresa Hautzinger, Peter Weindl und Prof. Dr. Dr. Eva Zeiler, HWST