Die neue digitale Entscheidungshilfe im Pro Gesund-Modul steuert antibiotische Trockensteller
Das selektive Trockenstellen von Milchkühen entspricht dem Ansatz, Antibiotika so selten wie möglich, aber so oft wie nötig einzusetzen. Bei der Entscheidung zwischen Zitzenversiegler und antibiotischen Trockensteller gilt es, einiges zu beachten. Eine neue digitale Entscheidungshilfe im Pro Gesund Modul des LKV-Herdenmanagers unterstützt Sie dabei.
Ein Thema, das sowohl in Fachkreisen als auch von Verbrauchern und in der Politik immer wieder diskutiert wird, ist der Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung. Im Hinblick auf die verpflichtende Erfassung der Anwendung von Antibiotika auch bei Milchkühen seit Anfang 2023, bekommt diese Thematik zunehmend eine rechtliche Bedeutung für Milchviehhalter. Im Fokus steht der routinemäßige Einsatz von antibiotischen Trockenstellern.

So wenig wie möglich, so viel wie nötig
Allgemein gilt, dass der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung grundsätzlich so gering wie möglich zu halten ist, ohne dabei das Tierwohl zu gefährden. Auf vielen Milchviehbetrieben ist während der Trockensteh-Phase ein routinemäßiger Einsatz von antibiotischen Präparaten eine Standard-Maßnahme. Antibiotische Trockensteller sollen das Risiko von Mastitiden infolge bakterieller Infektionen des Euters minimieren bzw. eine Neuinfektionen verhindern. Eutergesunde Tiere brauchen diese vorbeugende Maßnahme nicht zwangsläufig, ein Zitzenversiegler reicht aus.
Wann mit, wann ohne Antibiotika trockenstellen?
Die Herausforderung ist es jedoch, zwischen gesunden Tieren, bei denen keine Anwendung von antibiotischen Trockenstellern notwendig ist, und Kühen, die Mastitis gefährdet bzw. therapiewürdig sind, zu unterscheiden und diese zu identifizieren. Die neue digitale Entscheidungshilfe im Pro Gesund-Modul des LKV-Herdenmanagers, die den Einsatz antibiotischer Trockensteller bei Milchviehkühen steuert, unterstützt Sie bei dieser Entscheidung.
Das Projekt IQexpert
Mit der Entwicklung eines Expertensystems für ein strategisches Eutergesundheitsmanagement von Milchkühen geht das Forschungsprojekt „IQexpert“ neue Wege in der Verbesserung der Eutergesundheit. Dieses System analysiert als digitaler Experte die tiergesundheitlich relevanten Daten und generiert Handlungsempfehlungen zur Entscheidungsunterstützung – zum Beispiel im Hinblick auf die Therapiewürdigkeit oder das selektive Trockenstellen.
Diese können für Tierärzte die Entscheidungsgrundlage für eine individuelle Therapie mit dem Ziel einer Antibiotikaeinsparung ohne Gefährdung des Tierwohls sein. Ziel ist es, das Eutergesundheitsmanagement und die praktische Durchführung zum selektiven Trockenstellen zu erleichtern. Gleichzeitig soll damit zu einem verantwortungsvollen Antibiotikaeinsatz und einer verbesserten Tiergesundheit beigetragen werden.
Umsetzung beim LKV
Die neue digitale Anwendung, die den Einsatz antibiotischer Trockensteller bei Milchviehkühen steuert, kann in Ihrem LKV-Herdenmanager integriert werden. Voraussetzungen für die Nutzung ist die Pro Gesund Teilnahme und die Zustimmung, Ergebnisse von bakteriologischen Milchuntersuchungen beim TGD-Bayern e.V. automatisiert in den LKV-Herdenmanager übertragen zu lassen. Informationsquellen für die Empfehlungen zum Trockenstellen sind neben den vorhandenen Daten aus der Milchleistungsprüfung, Dokumentationen zu Mastitis-Erkrankungen, Ergebnisse der bakteriologischen Milchuntersuchung (BU) und Schalmtestergebnisse.
Neben einem kleinen Herdenscreening ist eine regelmäßige Milchleistungsprüfung sowie eine durchgängig konsequente Dokumentation der relevanten Daten im LKV-Herdenmanager notwendig, um eine stichhaltige Empfehlung ableiten zu können. Eine stabile Herdengesundheit ist von Vorteil, jedoch kein Ausschlusskriterium zur Teilnahme.
Selektives Trockenstellen
Beim selektiven Trockenstellen wird die Verabreichung von antibiotischen Trockenstellpräparaten auf tatsächlich infizierte Tiere beschränkt. Es erfordert eine umfassende Optimierung des gesamten Trockenstehermanagements. Dazu zählen insbesondere die Bereiche Gesundheitsüberwachung, Hygiene, Haltung und Fütterung. Eine erfolgreiche Umsetzung setzt voraus, dass sich Tierhalter aktiv mit der Eutergesundheit und ihren vielfältigen Einflussfaktoren auseinandersetzen.
Das zentrale Ziel besteht darin, ein hohes Niveau an Tiergesundheit zu erhalten. Gleichzeitig wird der Einsatz von antibiotischen Wirkstoffen auf ein Minimum beschränkt – und zwar nur dort, wo es medizinisch notwendig ist. Dies dient nicht nur der Verbesserung der Tiergesundheit, sondern auch der angepassten Antibiotika-Vergabe. Eine optimierte Managementpraxis, gepaart mit einem gezielten Einsatz von Antibiotika kann langfristig zu gesünderen Herden und einer nachhaltigeren Nutztierhaltung beitragen. Dies gilt es, in die Praxis umzusetzen.
Ein praktisches Werkzeug für Landwirte
Bei der Anwendung der digitalen Entscheidungshilfe werden sämtliche Eutergesundheitsdaten im System erfasst und verarbeitet. Alle fließen in die Berechnungen ein, mit denen am Schluss eine Empfehlung generiert wird. Ein Algorithmus kombiniert anhand der komplexen Daten eine Entscheidungsrichtung und übermittelt eine Empfehlung für die Behandlung der Einzeltiere.
Entscheidungsbaum und Empfehlung
Im Rahmen des IQexpert-Projekts wurde ein digitaler Entscheidungsbaum entwickelt, der es dem Tierhalter abnimmt, alle Informationen selbst im Kopf zu haben. Voraussetzung für eine begründete Entscheidungshilfe ist die gewissenhafte und möglichst vollständige Datenerfassung. Anhand dessen können die Trockenstellmaßnahmen mit oder ohne antibiotischen Wirkstoff für jede Kuh individuell (selektiv) entschieden werden.

Auf Basis der tiergesundheitlich relevanten Daten kann in mehreren Schritten mit Hilfe des Entscheidungsbaums eine Handlungsempfehlung abgeschätzt werden. Schließlich erhält der Tierhalter den Hinweis, in welcher Form das Trockenstellen zielführend sein kann.
Das System agiert interaktiv, indem es beispielsweise die Eingabe von Schalmtestergebnissen einfordert. Zusätzliche Beobachtungen und Diagnosen können jederzeit im System ergänzt und für die Herleitung der gegebenen Empfehlungen berücksichtigt werden. Beachten Sie, dass die Entscheidungshilfe zum selektiven Trockenstellen nur ein Wegweiser darstellt und keine Anweisung ist. Ob tatsächlich Antibiotika eingesetzt werden muss, legt der Hoftierarzt fest. Nach klinischer Untersuchung und Erfolgskontrolle der Einzeltiere, wählt er das geeignete Präparat für den Betrieb und die Tiere aus.
Handlungsempfehlung im LKV-Herdenmanager
Im Bereich „Empfehlungen“ können Landwirt und Tierarzt die Empfehlung für jedes Einzeltier entnehmen. Hier sind die Gründe für die einzelnen Empfehlungen sowie für die weitere Vorgehensweise mit Erklärung ablesbar. In der folgenden Abbildung ist dies beispielhaft dargestellt. Durch weiterführende Anweisungen kann die Entscheidung präzisiert werden.


Fazit
Mit der neuen digitalen Entscheidungshilfe im Pro Gesund-Modul des LKV-Herdenmanagers, die den Einsatz antibiotischer Trockensteller bei Milchviehkühen steuert, wurde ein System zum strategischen Eutergesundheitsmanagement geschaffen. Es erleichtert die Identifikation von therapiewürdigen Risikotieren und verbessert die Mastitis-Prävention. Durch die Anwendung dieser Entscheidungskriterien lassen sich gezielte Behandlungen einleiten, die sowohl die Ausheilungsrate der Tiere maximieren als auch das Risiko von Neuinfektionen minimieren können.
Selektives Trockenstellen ist ein wesentlicher Schritt zu einem verantwortungsvollen Antibiotikaeinsatz in der Milchviehhaltung. Ein gesicherter Infektions- oder Erkrankungsnachweis ermöglicht es, Antibiotika nur bei Tieren einzusetzen, die tatsächlich davon profitieren und gleichzeitig gesunde Tiere vor unnötiger Behandlung zu bewahren. So lässt sich eine hohe Eutergesundheit sicherstellen, ohne das Risiko der Antibiotikaresistenz zu erhöhen.
Ausblick
Seit Herbst 2024 gibt es für unsere Landwirte die Möglichkeit, die Anwendung über das Pro Gesund Modul im LKV-Herdenmanager zu nutzen. Sie haben Fragen zur Thematik oder Interesse daran, die digitale Entscheidungshilfe in Ihrem Betrieb einzusetzen? Dann melden Sie sich bei uns unter:
MLP Fach Hotline +49 (0)89 544 348 860
E-Mail: mlp.edv@lkv.bayern.de
Helen Fleckenstein
Stimmen aus der Praxis
In einem Pilotprojekt wurde die digitale Anwendung IQexpert zum selektiven Trockenstellen bereits auf 19 Betrieben in Bayern und Baden- Württemberg erfolgreich getestet. Teilgenommen haben unterschiedliche Milchviehbetriebe mit entsprechenden Futter- und Standortbedingungen. Familie Arnold aus Insingen in Mittelfranken war einer der Testbetriebe. Familie Arnold bewirtschaftet einen Milchviehbetrieb mit 80 Kühen plus Nachzucht.

Betriebsleiter Frank Arnold: „Mit einer durchschnittlichen Tagesmilchleistung von 34 kg/Kuh erreicht unsere Herde einen Jahresschnitt von über 11.000 kg. Neben der hohen Leistung sind wir auf unsere lange Nutzungsdauer und homogene Herde stolz. Hier ist die sehr gute Grundfutterqualität entscheidend. Das hilft uns die Tankmilchzellzahl unter 100.000 Zellen/ml zu festigen und den Antibiotikaeinsatz weiter zu reduzieren.
So sind wir auch auf das selektive Trockenstellen aufmerksam geworden, denn nicht jede Kuh braucht einen antibiotischen Trockensteller. Allerdings ist aus unserer Sicht wichtig, die Erregerlage im Bestand zu kennen und ein konsequentes Trockensteher-Management zu verfolgen. Seit dem Projektstart von IQexpert verwenden wir bei 100 % unserer Kühe zum Trockenstellen interne Zitzenversiegler oder wie wir sie nennen „Silikon“. Das hat bei uns deutlich dazu beigetragen, die eutergesunden Tiere vor Neuinfektionen mit Umweltkeimen während der Trockenstehperiode zu schützen. Ansonsten ist eine regelmäßige Liegeboxenpflege, zwei Mal täglich, das Einstreuen mit einem „milden“ Kalk und die Verwendung von Dippmitteln mit intensiver Pflegewirkung wichtig, um die Eutergesundheit stabil zu halten.“
Anna Stoll, Alicia Pichlmeier sowie Dr. med. vet. Rainer Martin von der Klinik für Wiederkäuer der LMU München haben den Entscheidungsbaum zum selektiven Trockenstellens entwickelt und die Landwirte der Projektbetriebe während der Evaluierungsphase betreut.

Dr. Rainer Martin: „Dass selektives Trockenstellen funktioniert, haben eine Reihe von Projekten gezeigt. Die Identifikation der Tiere, die von einem antibiotischen Trockensteller profitieren, beziehungsweise der Tiere, die ohne diesen trockengestellt werden können, ist jedoch zeit- und arbeitsaufwendig, da zahlreiche Daten analysiert werden müssen. Hier soll der digitale Experte die Landwirte unterstützen, indem auf Basis der Daten automatisiert Empfehlungen generiert werden. Um abgesicherte Empfehlungen erstellen zu können, ist der zugrundeliegende Entscheidungsbaum sehr umfangreich. In der Projektphase wurde dieser Entscheidungsbaum auf 19 Betrieben mit unterschiedlicher Eutergesundheitssituation getestet. Das Einsparpotenzial an antibiotischen Trockenstellern lag, abhängig von der Eutergesundheit, zwischen 20 und 50 %. Anhand der Zellgehalte beim ersten Probemelken nach der Kalbung wurden die Neuinfektionen und Heilungen während des Trockenstellens der Kühe analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Eutergesundheit bei den Tieren, die nach Empfehlung trockengestellt wurden, erhalten wurde, und Tiere, die ohne Antibiotika trockengestellt wurden, keine vermehrten Neuinfektionen aufwiesen. Somit kann gefolgert werden, dass die anhand des Entscheidungsbaums gegebenen Empfehlungen sicher sind.“
Projektkonsortium und Schwerpunkte
Die digitale Entscheidungshilfe zum selektiven Trockenstellen ist nur ein Teilprojekt von IQ Expert. Partner und Arbeitsschwerpunkte für dieses Teilprojekt waren:
- Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI) entwickelt das auf KI basierende Expertensystem
- Der Arbeitsbereich „Ambulanz und Bestandsbetreuung“ der Klinik für Wiederkäuer der Ludwig-Maximilians-Universität München betreut die Projektbetriebe und liefert die veterinärmedizinische Expertise
- Das Medienlabor der Hochschule Osnabrück entwickelt die App und arbeitet mit dem DFKI an der automatischen bildbasierten Tieridentifikation
- Das Landeskuratorium der Erzeugerringe für tierische Veredelung in Bayern e. V. sind im Bereich des Datenaustausches tätig
- Der Milchprüfring Baden-Württemberg e. V.
- Der Deutsche Verband für Leistungs- und Qualitätsprüfungen e. V. koordiniert das Projekt
In der Facharbeitsgruppe „Metaphylaxe“ der ARE-Vet wurde von Prof. Mansfeld und Dr. Harms ebenfalls eine Expertenmeinung zum Thema „Die Trockenstellbehandlung von Milchkühen als metaphylaktische Maßnahme“ erarbeitet.
Die Förderung des Vorhabens IQexpert erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Die Projektträgerschaft erfolgt über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des Programms zur Innovationsförderung.
